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Insiderin Wien: Elke Rauth
derivé - Zeitschrift für Stadtforschung
Sie widmet sich der Stadtforschung - mit ihrem Verein und gleichnamigem Urbanismusmagazin dérive. Gleichzeitig ist Elke Rauth Mitbegründerin und Leiterin des Urbanize-Festivals für urbane Erkundungen. Ein Stadtgespräch.
Was macht Wien zu einer lebenswerten Stadt?
Wien hat eine lange Tradition im kommunalen Wohnbau - die Stadtverwaltung verfügt über einen hohen Anteil an Immobilien, was die Mietpreisentwicklung bis vor Kurzem relativ stabil gehalten hat. Gepaart mit dem gut funktionierenden öffentlichen Verkehrsnetz, den schnell erreichbaren Erholungsräumen - Stichwort: mit der U-Bahn zum Schwimmen – und dem etwas langsameren Tempo, das in Wien angeschlagen wird, präsentiert sich Wien als sehr lebenswerte Stadt.
Wien
Gentrifizierung ist derzeit ein vielbenutztes Schlagwort, wenn es um Stadtentwicklung geht. Wo nehmen Sie diese Tendenz in Wien wahr?
In den letzten Jahren gerät der Wohnungsmarkt bedingt durch die Finanzkrise und das starke Bevölkerungswachstum verstärkt unter Druck. Mit Eigentum kann wahnsinnig viel Geld gemacht werden, weil die Investitionsnachfrage so hoch ist. Manche sprechen schon von der Wiener Immobilienblase. Hier muss dringend gegengesteuert werden, denn der Markt regelt das nicht von selbst. Leistbare Mieten sind ein wichtiger Bestandteil für die Entfaltung des guten Lebens und die Möglichkeit, beruflich zu experimentieren und auszuprobieren. Das betrifft vor allem junge Menschen und alle, die frisch nach Wien kommen und sich erst eine Existenz in der Stadt aufbauen müssen. Obwohl wissenschaftlich aufgrund der fehlenden statistischen Daten immer noch gestritten wird, ob es in Wien Gentrifizierung gibt, zeigen sich in mehreren Bezirken Tendenzen dazu: Die Mazzesinsel, der 2. Bezirk, ist davon sicher betroffen, ebenso das Stuwerviertel als neue, stadtnahe Premiumlage hinter der neuen WU, das Brunnenviertel in Ottakring oder das Gebiet rund um den neuen Zentralbahnhof, der sicherlich auf den 10. Bezirk ausstrahlen wird. Dabei geht es nicht um die für eine Stadt normale Veränderung in einem Grätzel, sondern um die Verdrängung der angestammten Bewohnerschaft - speziell jener Menschen, die sich teure Mieten oder entstehende schicke Lokale und Geschäfte nicht mehr leisten können. Gentrifizierung zu Ende gedacht, schafft homogene und damit sehr langweilige Viertel. Spannende Orte in der Stadt leben vom vielfältigen Mit- und Nebeneinander unterschiedlicher Menschen und Kulturen und auch unterschiedlicher Einkommensniveaus. Das gilt es durch gezielte Stadtentwicklungspolitik zu fördern und zu bewahren.
Welche Stadtteile Wiens entwickeln sich in Ihren Augen aktuell am spannendsten?
Den 5. Bezirk rund um die Reinprechtsdorfer Straße finde ich spannend. Dort tun sich seit einiger Zeit Bewohner zusammen, um unter dem Slogan „Glück für alle statt Wettlokale“ gegen Ausverkauf und Verödung der Straßenräume durch abweisende Wettlokale anzugehen. In Meidling gibt es auch eine sehr aktive Nachbarschaftsszene, die sich für eine lebenswerte Umgebung einsetzt. Interessant ist auch das neubebaute Nordbahnhofgelände, wo ebenfalls die Bewohner ganz aktiv Stadt- und Nachbarschaftsentwicklung betreiben, um die Neubaugegend zu einem lebenswerten und urbanen Ort zu machen. Solche Initiativen von Bewohnern als Experten ihres eigenen Lebensumfeldes betreiben bedarfsorientierte Stadtentwicklung „von unten“ und schaffen neuen Zusammenhalt. Dabei geht es nicht um profitorientierte Angebote, sondern um das gute Leben und die Schaffung von Orten des Zusammenkommens und gemeinsamen Entwickelns. Aus solchen Initiativen entstehen Netzwerke und oft viele interessante Ideen und Projekte, die das urbane Leben bereichern.
Wien Margareten, 1050 Wien
Das Urbanize-Festival stand im Vorjahr unter dem Motto "Citopia Now". Es ging um urbane Zwischenräume mit Potenzial. Wo findet man diese Zwischenräume in Wien?
Zwischenräume mit Potenzial finden sich eigentlich überall dort, wo sich Menschen zum „Stadt-selber-Machen“ zusammenfinden. Das kann eine ungenützte Brache sein, die sich für einen Sommer in einen Spiel- und Aufenthaltsraum verwandelt. Oder eine Feuermauer, die als Kino-Leinwand benutzt wird. Die Leute vom Cycle Cinema Club, einem mobilen Fahrradkino, machen das seit einigen Jahren eindrucksvoll vor. Oder ein leerstehendes Lokal, das sich in ein Reparatur-Café transformiert, wo Menschen sich gegenseitig mit ihrem Wissen weiterhelfen. Oder einer der Wiener „Kost nix“-Läden, wo man Dinge, die man nicht mehr braucht, hinbringen kann, damit sie anderen Menschen nützlich sein können, und umgekehrt. Wir Menschen sind soziale Wesen und überall dort, wo sich Räume dafür auftun, entfalten sich Ideen. Die Kultur des Teilens findet immer mehr Anhänger und nimmt als „Shareconomy“ unter dem Slogan „benutzen statt besitzen“ auch ökonomische Formen an. Das wird die urbane Gesellschaft verändern und besitzt das Potenzial für eine nachhaltigere Form des Wirtschaftens. Die Aufgabe der Stadtverwaltung ist es, solche Eigeninitiativen zu unterstützen und zu fördern - da gibt es in Wien durchaus noch Luft nach oben.
Wo liegt der Schwerpunkt bei Urbanize 2014?
Urbanize 2014 widmet sich unter dem Motto „Safe City“ dem Thema Sicherheit im urbanen Raum. Wir sind der Meinung, dass Sicherheit für das soziale Wesen Mensch in erster Linie durch soziale Beziehungen entsteht: Durch lebendige Nachbarschaften, urbane Netzwerke, belebte öffentliche Räume, durch aktive Teilnahme und Mitgestaltung von städtischen Veränderungsprozessen. Stattdessen wird international in den Städten immer stärker auf Kontrolle und Überwachung gesetzt und auch in Wien hat man in letzter Zeit einige Beispiele dafür gesehen, wie durch massive Polizeieinsätze gesellschaftliche Fragestellungen gelöst werden sollen. Diesem Ansatz wollen wir die positive Vision einer starken Stadtgesellschaft entgegenhalten, die Kompetenz im Umgang mit alltäglichen Irritationen besitzt, die das ständige Aushandeln von Situationen als Konstante des urbanen Lebens begreift und das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Menschen und Daseinskulturen im öffentlichen Raum als Bereicherung und Grundbedingung für lebendige, pulsierende Räume erkennt. Diese Auseinandersetzung führen wir mit zahlreichen heimischen und internationalen Forschern, Künstlern und Stadtaktivisten in ganz unterschiedlichen Formaten: Es wird an den zehn Festivaltagen Vorträge und Diskussionen geben, Workshops und Stadtspaziergänge, Filme und Performances. Wir werden diskutieren, ausprobieren, essen, tanzen und am Ende hoffentlich alle gemeinsam ein wenig schlauer geworden sein. Ein großer Teil des Programms von 3. bis 10. Oktober findet in der Festivalzentrale Stadtlabor, einer temporären Containerarchitektur der TU Wien, direkt am Karlsplatz statt. Vorbeischauen lohnt sich auf alle Fälle!
Das Festival ist erst im Oktober - deshalb unsere Frage: Welche Sommerfestivals schätzen Sie?
Sommer in Wien heißt für mich Open-Air-Kino-Zeit. Mit Decke und Gelsenspray ausgerüstet und einem kühlen Getränk lässt es sich perfekt in die Welt des Kinos eintauchen, egal ob Science Fiction im Kreiskypark, Arena-Sommerkino, Espresso-Kurzfilmfestival im Schönbornpark, Kino unter Sternen am Karlsplatz oder Architekturfilme von Wonderland im Az W-Hof (Museumsplatz 1), um nur ein paar der vielen Angebote zu nennen. Heuer leider ohne „Kino wie noch nie“ im Augarten, wobei das Filmarchiv versprochen hat, 2015 wieder ein Sommerkino zu veranstalten.
Die Lokal- und Ladenszene in Wien ist in konstanter Bewegung. Was haben Sie erst kürzlich neu entdeckt und für gut befunden?
Ich gehöre einer augenscheinlichen Minderheit an, die Shopping nicht mit Vergnügen gleichsetzt. Wann immer ich dem Einkaufen aus dem Weg gehen kann, bin ich glücklich. Trotzdem mag ich kleine, feine Sachen mit Humor, wie die jüngst entdeckten „Das Goldene Wiener Herz“ mit ihrer Wien-Postkarten-Kollektion und wunderbaren old-style Achtel-Weingläsern. Fürs sommerliche Italo-Feeling mitten in Wien empfehlen sich Pizza Mari in der Leopoldstadt (Leopoldsgasse 23a) und Disco Volante in Gumpendorf (Gumpendorfer Straße 98), die beide der reinen Lehre von „il vero pizza“ anhängen. Und dann natürlich Donatellas wunderbares Alimentari im Freihausviertel mit echtem Neapel-Feeling, geführt von den charmantesten Gastgebern in dieser Stadt (Margaretenstraße 42).
Ist Wien eine kinderfreundliche Stadt?
Wien ist eine kinder-, aber keine jugendfreundliche Stadt. Das Versorgungsnetz mit Spielplätzen, Parks und Freizeitangeboten ist in den meisten Bezirken sehr gut. Sobald die Kids aber ein gewisses Alter erreichen, finden sie nur schwer Aufenthaltsräume, die nicht kommerzialisiert sind. Hier braucht es dringend mehr öffentliche Angebote, die den Kids die Freiheit der Aneignung und Nutzung lassen. Ein gutes Beispiel für eine gelungene Gestaltung solcher Räume ist der Kreiskypark im 5. Bezirk. Dort scheinen alle irgendwie ihre Nische zu finden - Kleinkinder beim Spielen, Omas und Opas beim Nachmittagsplausch an den Tischen, Jugendliche in den roten Hängematten beim Abhängen.
Bruno-Kreisky-Park, 1050 Wien
Was vermissen Sie, wenn Sie nicht in Wien sind?
Das Gänsehäufel an der Alten Donau und das gemächliche Tempo, das diese Stadt pflegt und mir einen wunderbaren Kontrast zur eigenen alltäglichen Hektik bietet.
derivé - Zeitschrift für Stadtforschung